Ladies and Gentlemen,
the Heartbreak Kid Shawn Michaels
has left the building.






























































Wow. Das hat gesessen. Und bei aller Emotionalität, bei aller Bedeutungsschwere dieser letzten Rede eines der wenigen aktiven Wrestlinglegenden, wirkte dieser plötzliche Abschied doch irgendwie surreal und ein stückweit unglaublich. Ich meine, was passierte da gerade? Da stand ein Shawn Michaels alleine mit einem Cowboyhut und einem Mikrophon vor einer emotional aufgebrachten Menge und setzte uns unter leisen Tränen davon in Kenntnis, dass es das jetzt war. Ende. Puff und aus. Keine Verletzung oder gar schlimmeres. Keine familiären Probleme, kein Stress mit dem Arbeitgeber, kein Angebot der Konkurrenz. Kein körperlicher Grund, kein übermäßiges Alter. Es war ein plötzliches Goodbye, das einfach rational geschah und trotzdem oder vielleicht ganz speziell deswegen so fern wirkte, obwohl es gerade präsenter war, als alles andere, was passierte. Der Heartbreak Kid sagte „Tschüss" und der Zuschauer dachte „Hä?".

Man machte mit Shawn Michaels keine große Story aus dem Abschied, bereitete es nicht über Wochen vor und legte den Fokus einzig und allein darauf, dass WrestleMania 26 das große Abschiedskonzert einer Rock and Roll Legende werden würde. Und genau das unterschied den plötzlichen Abschied des Heartbreak Kid von vielen seiner Vorgänger. Jeder einzelne Fan, der zwei Jahre zuvor das „Career-Threatening-Match" zwischen eben jenem Heartbreak Kid und Ric Flair bei WrestleMania 24 betrachtete, wusste doch, dass dies der große Abschied des großen Nature Boy auf der großen Bühne sein musste. Und genau nach diesen Maßstäben betrachtete und bewertete man auch den Kampf. Alles baute sich über Monate für dieses einen Moment auf. Diesen einen Moment, in dem sich Ric Flair ein letztes Mal aufbäumte, nach mehr verlangte. Shawn Michaels entschuldigte sich bei ihm und beendete den Teil seiner ernstzunehmenden Wrestling-Karriere mit den Worten „I’m Sorry." und einem harten Kick ins Gesicht. Niemand rechnete mit etwas anderem, denn eigentlich war dieser Ausgang ja bereits mit Nennung der Stipulation gesetzt. Und nun, exakt zwei Jahre später, machen wir alle einen auf überrascht, weil Shawn Michaels plötzlich Word hält und seine Karriere nach der Niederlage gegen den Deadman beendet. Dabei war die Stipulation aus seiner Sicht dieselbe – und obwohl er gegen eine der letzten im Wrestlingbusiness unantastbaren Relikte kämpfte, nämlich die WM-Streak des Undertaker, dachte trotzdem kaum einer an das nahende Ende des Heartbreak Kid Shawn Michaels.

Es war der Main Event der größten Wrestlingshow der Welt. Das Hauptmatch des Hauptereignisses. Der Superbowl des Wrestling, bei dem sich die letzten beiden aktiven Legenden dieser Liga gegenüberstanden. Mehr Plattform für den Abschied des Größten geht eigentlich nicht – und trotzdem dachte ich nicht eine Sekunde des Matches daran, dass dieses nun tatsächlich das letzte Mal sein würde, dass ich den Heartbreak Kid Shawn Michaels zum letzten Mal aktiv in einem Wrestlingring sehen werde. Und selbst jetzt, wo ich davon schreibe, vom bereits eingetretenen Karriereende dieses Mannes, wirkt es noch immer surreal.

Und dafür danke ich WWE. Dafür danke ich dem Booking-Team, die den Abschied, die letzte Fehde, das letzte Aufbäumen des Shawn Michaels auf eben diese Art und Weise schrieben und umsetzen ließen. Denn nun, nachdem alles vorbei ist, kämpfen wir mit dem Beigeschmack – und eben noch nicht die Wochen, bevor es soweit war. Und so bot uns WWE die Chance, die letzten Wochen eines aktiven Shawn Michaels in voller Güte zu genießen – halt ohne den Beigeschmack, der es uns madig gemacht hätte. So glaubte man Shawn seine Promos, die Interaktion mit dem Undertaker, man glaubte seinem Tag-Team-Titelkampf kurz vor WrestleMania. Ja, man wartete mit dem Beigeschmack bis nach dem Essen.

So richtig weiß ich eigentlich noch immer nicht genau, wie World Wrestling Entertainment das gelungen ist. Dass ich mich tatsächlich erst nach dem Three-Count aktiv mit der Situation befasste und zu realisieren begann, was hier eigentlich gerade passiert war. Als Shawn Michaels langsam aufstand, das Publikum chantete und er langsam, ohne musikalische Untermalung, die Rampe empor schlich. Ein krasser Moment – der Moment, in dem wirklich zum ersten Mal das Gefühl aufkam, dass der Film zu Ende sein könnte. Es war der Abspann eines Blockbusters – doch genau wie beim Abspann, der ja das unwiderrufliche Ende eines Filmes darstellt, hoffte ich auch hier auf diese kurze letzte Szene nach dem Ende der Laufschrift, die dem ganzen vielleicht noch die Wende und die Option auf eine Fortsetzung gibt. Ihr wisst schon, wenn man nach dem Ende des Abspanns plötzlich sieht, dass doch noch ein Godzilla-Baby lebt, die Augen des vermeintlich besiegten Killers doch noch mal aufspringen oder wir lernen, dass das Chev-Chelios-Herz auch nach dem Sturz aus einem Hubschrauber noch immer schlägt. Doch irgendwie… ja, irgendwie kam das nicht.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer dann plötzlich bei RAW – und da wird einmal mehr klar und offensichtlich, wie wenig man diese Karriereende-Sache im Vorfeld eigentlich als Fan ernst nahm. Triple H hält eine emotionale Hommage an seinen Kumpel und wird dabei von seinem Storyline-Gegner Sheamus niedergeschlagen. Hallo? Welcher Booker hätte denn tatsächlich die Eier, so einem Käse dem zukünftigen Besitzer des Unternehmens für einen solch persönlichen Moment vorzuschlagen? Einzige Erklärung war zu diesem Zeitpunkt, dass die Emotionalität Work war und das Karriereende so ernst zu nehmen war wie bei vielen von Shawn’s Vorgängern. Dass er mehr oder weniger nur eine Pause eingeleitet hatte, womit ja eh jeder rechnete und auch jeder leben konnte. Dass Shawn aber nicht dem Flair-Club beitrat, um bei den Vereinstreffen zusammen mit Mick Foley, Sting und Terry Funk über das nächste Comeback bei Kaffee und Gebäck zu sinnieren – ja, dass offenbarte sich am Ende der selben RAW-Show, die diese Zweifel für einen kurzen Moment aufkommen ließ.

Bei jeder Achterbahnfahrt gibt es diesen unwiderruflichen Moment, bei dem aus Angst Realität wird. Nämlich, wenn es über die Kuppe geht. Dazu muss gesagt werden, dass ich unter den größten Freizeitpark-Schissern dieser Welt vermutlich einen der vorderen Ränge belegen würde. Daher kenne ich diesen Moment sehr gut. Denn obwohl ich Schisser bin, bin ich stolz – und wer das weiß kriegt mich fast zu allem, wenn er nur meinen Stolz angreift. Und so kenne ich diesen Moment. Diesen Wendepunkt, bei dem aus Angst Realität wird. Auch wenn ich weiß, dass die ganze Fahrt der Horror wird und mir im Gesamten aufzeigt, warum ich Schiss hatte und das eigentlich nie wieder machen wollte. Der entscheidende Moment ist das Überschreiten dieser ersten Kuppel. Der Moment, bei dem es definitiv kein Zurück mehr gibt. Im Abschied des Shawn Michaels war das schließlich der Auftritt des Undertaker, das kurze Streifen seines Hutes und der daraus resultierende Gesichtsausdruck von Shawn Michaels. Ein geskripteter Moment, der mehr die Ernsthaftigkeit dieses Momentes unterstrich, als es eine emotionale Rede jemals konnte.

Dann kam die Achterbahnfahrt. Dass, was man eigentlich nicht will, wovor man die ganze Auffahrt Schiss hatte, obwohl man wusste, dass es kommt – dass auf irgendeine kranke Art aber auch irgendwie Spaß machte. Shawn Michaels sprach zu seinen Fans. Und je mehr er sagte, umso mehr schien durch, dass es eigentlich Michael Hickenbottom war, der zu seinen Fans sprach, als die Kunstfigur Shawn Michaels. Und als er noch weiter sprach, merkte man, dass er selber diesen Unterschied schon gar nicht mehr großartig machte. 

Die Fans waren die einzigen, die Shawn Michaels jemals dazu brachten, sich selbst zu mögen. 

Das war der Looping. Definitiv. Die Danksagung an Bret Hart, an Vince McMahon, an Triple H. An einen Video-Typen, den keiner kannte. Das Eingeständnis eigener Schwäche und Fehler in der Vergangenheit und schließlich die ultimative Blockade eines möglichen Fallback-Szenarios in Form eines Versprechens an seine Kinder: Daddy’s coming home. Wer Kinder hat, der weiß: Da kommt man nicht wieder raus.

Die letzte In-Ring-Aktion des Shawn Michaels war eine herausfordernde Ohrfeige gegen den Undertaker, nachdem er sich mit den letzten Kräften seines Körpers an diesem zu einer annähernd aufrechten Körperhaltung hochzog. Why Shawn rules? Genau deshalb. Weil diese Aktion seine Karriere und den Grund dafür, dass er mich und viele andere zu dieser Fanleidenschaft bewegte, mehr beschreibt, als es ein chronologischer Karriereabriss jemals könnte. Shawn Michaels war immer ein Kämpfer, in jeder Rolle. Er hat dem Publikum, seinen Fans, niemals etwas vorenthalten und immer das gemacht, um jeden einzelnen der ihm zusah bestmöglich zu unterhalten. Er tat es als Rocker, er tat es als arroganter Schönling. Er tat es, als er sein Lächeln verlor und er tat es, als er seinen blanken Hintern in die Kameras hielt. Als er Bret Hart betrog, als er Hulk Hogan in unser aller Namen ins Gesicht trat und er tat es, als er sich nach einem der großartigsten Kämpfe der WrestleMania-Geschichte aufraffte, nur um den Undertaker ein letztes Mal zu ohrfeigen. Und damit auszusagen: Ich bin soweit. Du blöder Penner, beende es. Der Deadman bereitete dem Heartbreak Kid dieses Geschenk, das letzterer noch zwei Jahre zuvor einem Veteranen in derselben Situation überreichte. Selten war ein Moment bedeutungsschwerer.

Why Shawn rules – eine Frage, die eigentlich nie abschließend beantwortet werden konnte, weil sie sich immer wieder auf’s Neue beantwortete. Und jetzt, wo ein abschließendes Urteil nach 21 Jahren möglich wäre, jetzt will ich sie gar nicht mehr vollumfänglich beantworten. Ich will hier gar kein Resumé auf seine illustre Karriere heranziehen und jeden großen Moment, jeden Showstealer als Antwort formulieren. Für mich persönlich ist es Antwort genug, dass ich weiß, dass ich seine Anwesenheit bei etwas, wofür er die Leidenschaft in mir eigentlich erst hervorrief und über Jahre festigte, aufs Schmerzlichste vermissen werde. Mehr als jemals jemanden, der vor ihm ging und vermutlich auch mehr als jemals jemanden der nach ihm gehen wird. Why Shawn rules? Weil ich, wenn ich am 29.03.2010 in der Halle anwesend gewesen wäre nicht „One more match" sondern „Thank you, Shawn" gechantet hätte. Und wer jetzt noch immer nach etwas konkreterem sucht, dass diese Frage beantwortet, der muss sich am Ende schlicht und ergreifend mit einer bekannten, plumpen, aber nun mal verdammt zutreffenden Floskel zufrieden geben:
„Why shawn rules?" - „Weil er es kann.", verdammt noch mal.

Ladies and Gentlemen, the Heartbreak Kid Shawn Michaels has left the building.